ISMPS

INSTITUT FÜR STUDIEN DER MUSIKKULTUR

DES PORTUGIESISCHEN SPRACHRAUMES


MUSIK IN GLOBALEN PROZESSEN

Vorsitz: Prof. Dr. Antonio Alexandre Bispo

Universität Köln



kulturwissenschaftlich orientierte Musikstudien &

musikwissenschaftlich geleitete Kulturstudien

e.V.

1968 - Brasilien
1985 - Deutschland



Das Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes (ISMPS) ist eine freie, als gemeinnützig anerkannte Forschungseinrichtung, die 1985 in Deutschland gegründet und eingetragen wurde. Es setzt Arbeiten des Forschungsinstituts einer Gesellschaft für prozessorientierte Musik- und Kulturstudien in Theorie und Praxis fort, das 1966 in São Paulo gegründet und 1968 eingetragen wurde (Centro de Pesquisas em Musicologia/Nova Difusão).

Bewegung Nova Difusão. Musik in Kulturprozessen

Die Studien und Veranstaltungen werden in Kooperationen mit Universitäten und Forschungszentren und mit Unterstützung von offiziellen Organen, Stiftungen, Universitäten, Kulturzentren und Fachgesellschaften durchgeführt.


Berichte in portugiesischer Sprache sind in der online-Zeitschrift Revista Brasil-Europa/Correspondência Euro-Brasileira veröffentlicht. Dokumentationen und Berichte in deutscher Sprache sind online vorhanden.


Das Institut hat seinen Sitz in der Villa Wollenweber im Bergischen Land, Nordrhein-Westfalen. Es unterhält eine Arbeitstätte in São Paulo, Brasilien.

Studienzengrum des Instituts für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes. Akademie Brasil-Europa

Ziel


Ziel des ISMPS ist die Förderung und Durchführung von kulturwissenschaftlich geleiteten Musikstudien und musikwissenschaftlich orientierten Kulturstudien. Diese gehen von Kontexten aus, die durch die Portugiesen seit der Entdeckungszeit geprägt wurden. Sie werden von bestimmten Bezugspunkten aus betrachtet, aus denen Netzwerke und Prozesse untersucht werden, die durch Begegnungen und Interaktionen entstanden und über die Jahrhunderte bis in die Gegenwart nachwirken.


Die Untersuchungen dienen als Grundlagenforschung der Kulturanalyse gegenwärtiger Zustände und Entwicklungen. Die Arbeiten des ISMPS sind prinzipiell gegenwarts- und zukunftsorientiert.


Zweck der Studien ist die Klärung von Kulturprägungen, die Welt- und Menschenbild bestimmen. Die Analysen richten sich auf die Faktoren, die systemisch Verläufe und Handlungen bestimmen und die durch die Musik und ihre Wirkung auf Affekte, Emotionen und psychische Zustände und Antriebe beeinflusst werden.


Fokussierungen


Zu den Bezugspunkten, von denen aus Kontexte in ihren Vernetzungen und ihrer inneren Dynamik untersucht werden, gehören die portugiesischen autonomen Regionen der Azoren und Madeira sowie Länder mit offizieller portugiesischer Sprache in Südamerika, Afrika und Asien, nämlich Brasilien, Angola, Kap Verde, São Tomé und Príncipe, Guinea Bissau, Mozambik und Osttimor. Dazu zählen auch Gebiete und Städte in Ländern, in denen die portugiesische Sprache nicht die offizielle bzw. vorherrschende Sprache ist, wie Macau in China und Malakka in Malaysien. Beachtet werden auch Gemeinschaften, die in anderen Kontexten seit Jahrhunderten in allen Teilen der Welt integriert bzw. assimiliert sind, wie in Thailand oder anderen Ländern Südostasiens und des malayischen Archipels, in Australien, auf Inseln des Pazifik, in Madagaskar oder Äthiopien.


Die Aufmerksamkeit wird auch und vor allem gerichtet auf die Migrantengruppen und deren Nachkommen rezenterer Auswanderungswellen, die sich z.T. in portugiesischsprachigen Ländern wie Brasilien oder in Portugal selbst niederließen oder in Spanisch sprechende Länder Südamerikas, nach Hawaii, in die USA, Kanada, Australien, Neuseeland und andere europäische Länder einwanderten. Überall erfolgten Interaktionen und Kulturwandlungen, und bei Integrationsprozessen ist vielfach die portugiesische Sprache verloren gegangen.


Prozessorientierung


Die Kulturprozesse, die im ISMPS Gegenstand von Analysen sind, sind unter mehreren Aspekten grenzüberschreitend. Sie richten sich von dem fokussierten Kontext aus auf Prozesse in Netzwerken von Beziehungen über die heutigen Nationalgrenzen und geographisch benachbarten Gebiete sowie über Kontinente hinaus. Die untersuchten Prozesse durchziehen auch Trennungen zwischen Ethnien, sozialen Gruppen und Sphären des Gesellschaftslebens, sie richten sich nicht nach Kriterien, die aus Kategorisierungen der Betrachtungsgegenstände resultieren wie bei der Unterscheidung von Kunst-, Volks- oder Popularmusik. Diese Orientierung nach grenzübergreifenden Prozessen erfordert auch eine besondere Beachtung globaler Entwicklungen durch die Informations- und Kommunikationsmedien in Kulturanalysen der Gegenwart.


Erneuerungsanliegen


Das Institut setzt in seiner theoretischen Orientierung auf Ansätze, die in den 1960er Jahren in Brasilien entstanden sind. In einer Zeit weltweiter Bestrebungen zur Öffnung von Perspektiven und Überwindung starrer Strukturen, Trennungen sozio-kultureller Sphären und veralterter Sichtweisen wurde 1968 in São Paulo eine Gesellschaft für prozessorienterte Kultur- und Musikforschung in Theorie und Praxis als Träger eines Forschungszentrums für kulturwissenschaftlich orientierte Musikologie gegründet. Die Arbeiten wurden vom Kultursekretariat der Stadt, vom Museum für Zeitgenössische Kunst der Universität São Paulo, von der Brasilianischen Gesellschaft für Volkskunde sowie von Universitäten, Konservatorien, Kunst- und Musikhochschulen unterstützt.  


Die Konflikte sowie die Befreiungs- bzw. Unabhängigkeitsbewegungen im Fernen Osten und in Afrika ließen die Notwendigkeit einer Erneuerung der Sichtweisen in der Kultur- und Musikforschung in der portugiesischen Sprache erkennbar werden. In einem zukunftsweisenden Vortrag im Casa de Portugal rief der portugiesische Komponist Jorge Peixinho (1940-1995) 1970 zur grundlegenden Erneuerung von Sichtweisen und Auffassungen, zur Überwindung von Positionen und Ansichten auf.


Auf Hochschulebene prägte die theoretische Hinwendung der Kulturstudien auf grenzüberschreitende Prozesse und Interaktionen ab 1971 den Fachbereich Ethnomusikologie und Ästhetik, historische Musikforschung und Aufführungspraxis in der Fakultät für Musik und Kunsterziehung des Musikinstituts São Paulo. Es wurden Forschungsprojekte, Studien- und Kontaktreisen sowie Besprechungen in Universitäten mehrerer Bundesstaaten durchgeführt. Dabei wurden Traditionen portugiesischer Herkunft transdisziplinär diskutiert. Bibliotheken und Archive wurden nach Dokumenten durchsucht. Mit Experten verschiedener Fachrichtungen sowie Vertretern luso-brasilianischer Vereine wurde über das Erneuerungsanliegen gesprochen.


Internationalität


Angesichts der internationalen Lage in den portugiesischsprachigen Gebieten Afrikas und Asiens sowie der dadurch erfolgten Einwanderungen nach Brasilien wurden 1973/74 in Brasilien und Portugal Konferenzen abgehalten, um die Bestrebungen zur Neuorientierung der Kultur- und Musikstudien zu diskutieren und zu koordinieren. Dabei wurde erwogen, dass unter den damaligen Bedingungen die Betrachtung der Entwicklung aus der Distanz eines nicht unmittelbar betroffenen Kontextes empfehlenwert wäre.


1975 wurde ein international zusammengesetzter Arbeitskreis in Köln gebildet. Köln bot sich als ein Zentrum der luso-brasilianischen Studien und der musikwissenschaftlichen Forschung an, die sich mit iberischen, afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Themen befassten. Die Universität war auch für die in ihr durchgeführten völkerkundlichen Studien sowie für die ostasiatische und afrikanische Forschung weltweit bekannt. Darüber hinaus war Köln mit seinen Traditionen und den erzdiözesanen Einrichtungen für Studien des Katholizismus und der Missionsgeschichte besonders geeignet, was für die Untersuchung der von den Portugiesen entfachten Kulturprozesse unentbehrlich ist.


Der Arbeitskreis setzte sich als Aufgabe, Grundlagen zur Entwicklung und Institutionalisierung einer Kultur- und Musikforschung in Portugal und Brasilien zu erarbeiten, die für die neuen politischen Realitäten und die eingesetzten Entwicklungen im portugiesischsprachigen Raum adäquat wäre. Die Musikwissenschaften wurden erstmals auf Universitätsniveau in Portugal etabliert und 1981 wurde die Brasilianischen Gesellschaft für Musikwissenschaft in São Paulo gegründet. Von 1981 bis 1985 wurde ein Musikforum für multilaterale Studien in Forschung und Erziehung initiiert, das von der Stadt Leichlingen veranstaltet wurde. In deutsch-brasilianischen, -französischen, -amerikanischen und -österreichischen Tagungen und Musikwochen sollte eine wertorientierte, kulturwissenschaftlich geleitete Vorgehensweise in Theorie und Praxis erörtet werden. Leitbegriff war Kultur und Kunst im Zeichen von Menschenrechten und -pflichten.


Im Anschluss an Symposien der Europäischen Gemeinschaften und des  Musikkonservatoriums in Brüssel wurden im Zentrum für fundamentale Anthropologie der ehemaligen historischen Abtei Royaumont in Frankreich 1984/85 Besprechungen durchgeführt mit dem Ziel, die bisherigen Studien zur Musik in Kulturprozessen im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsinstituts zu institutionalisieren.


1985 wurde zum Anlass des von den europäischen Instanzen ausgerufenen Europäischen Jahres der Musik das ISMPS gegründet. Damit sollte auch die Rolle Portugals bei die Expansion Europas in die Welt sowie das Vorhandensein einer europäisch geprägten Kulturentwicklung im außereuropäischen Raum hervorgehoben werden.


Seit der Errichtung des Arbeitskreises 1975 wurden Forschungsprogramme, Kolloquien, Symposien und Kongresse sowie Studienzyklen in mehreren Ländern durch das ISMPS initiiert und mitveranstaltet.


Zu diesen zählten u.a.

- Reihe internationaler Symposien zum Thema Kirchenmusik und brasilianische Kultur

- Internationales Programm zum Jahr Carlos Gomes 1986

- I. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft zum Jahr Villa-Lobos 1987

- Programm atlantischer Studien in Madeira zur Partnerschaft Santos/Funchal 1988

- Tagung zur portugiesischsprachigen Migration in Europa 1989

- Programm Klassik und wertorientierte Forschung zum Mozart-Jahr 1991

- II. Brasilianischer Kongress für Musikwissenschaft zum 500. Jahr der Entdeckung Amerikas 1992

- Programm internationaler Studien zur Übergabe von Hongkong und Macau an China 1996-1999

- Internationales Kolloquium zu Musikanthropologie zum Jahr Vasco da Gama 1998

- Internationaler Kongress Musik und Visionen zum 500. Jahr der Entdeckung Brasiliens 1999

- Internationales Kolloquium zur Ernennung von Porto zur europäischen Kulturhauptstadt 2002

- Internationaler Kongress Euro-Brasilianischer Studien in Rio Grande do Sul, S. Paulo und Rio de Janeiro 2002

- Internationales Kolloquium Interkultureller Studien zum 450. Jahr der Gründung von São Paulo 2004

sowie

- Zusammenarbeit bei Lehrveranstaltungen an der Universitäten Köln und Bonn

- Sitzungen und Veranstaltungen der Akademie Brasil-Europa

- Studienzyklen nach Besichtigungen und Besprechungen in zahlreichen Ländern








Globale Kulturprozesse

Entgrenzungen und Überwindung des „Schubladendenkens“


Die zunehmende Globalisierung und Mediatisierung in der Gegenwart rufen mit all ihren Potenzialitäten und Herausforderungen nach reflektierter Annährungsweise, um adäquat analysiert zu werden. Sie sind komplexe Prozesse, die mit globaler, Grenzen und Räume überwindender Kommunikation, Informationsaustausch und Verbreitungen bzw. Diffusionen vielfältiger Art einhergehen und sich auf Leben und Kultur des Menschen auswirken.


Kulturanalysen müssen, um angemessen vorzugehen, auch prozessorientiert sein. Sie können sich nicht von Denkkategorien leiten lassen, die selbst von Grenzen und abgetrennten Räumen geprägt sind. Die Überwindung eines "Schubladendenkens" im Sinne eines an starren Kategorien orientierten Gegenstandes der Betrachtung verlangt inter- und transdisziplinäre Vorgehensweisen, Überprüfung von Einstellungen und Perspektiven. Sie ist kaum kompatibel mit vorgefassten Qualifizierungen, die den Gegenstand der Betrachtung in Kompartimente wie etwa die Sphären von Kunst-, Volks- und Popularmusik einteilen. Auch eine pauschale Unterscheidung in Europäisches und Außereuropäisches, die vielfach die etablierten Kultur-, Kunst- und Musikstudien bestimmt, ruft nach Überprüfung.


Ebenfalls verlieren nationale und regionale Grenzen bei einer auf globale Prozesse und deren Interaktionen ausgerichteten Kulturforschung an Bedeutung. Diese mag nationale und nationalistische Entwicklungen analysieren, sie darf aber selbst nicht nationalistisch sein. Auch Typisierungen, Stereotypen und Klischees – wie undifferenziert Samba als Musik Brasiliens, Fado als solche Portugals oder Morna als Musik von Kap Verde zu klassifizieren –  mögen analysiert werden, dürfen aber nicht die Forschung bestimmen. Sie betreffen nicht statische, unveränderbare Gattungen, die Nationen bzw. Völker gleichsam wesenhaft prägen, sondern sind Ergebnisse historischer Prozesse und dadurch wandelbar.


Zugleich aber führen die auf grenzüberschreitende Prozesse ausgerichteten Kulturanalysen zur Vernetzung und internationalen Zusammenarbeit. Die Forscher sind selbst in Kontexte und Netzwerke eingefügt, was sich auf ihre Sicht- und Ausdrucksweise auswirkt. Kulturforschung muss mit Erforschung der Forschung selbst einhergehen, Kulturanalyse mit Analysen von Netzwerken.


Die Sprache, in der die Studien verfasst sind, ist als ein Kommunikationsmittel kulturell bestimmt, sie ist Kulturträger und -ausdruck und prägt die Vermittlung kognitiver Ergebnisse. Es scheint sinnvoll zu sein, bei der Kulturforschung globaler Prozesse von den sprachlich geprägten Wissenskulturen auszugehen. In diesem Sinne richtet sich das ISMPS auf den portugiesischen Sprachraum.


Die Globalisierung, die durch die technischen Errungenschaften, neue Medien und erleichterte Mobilität bereits seit längerer Zeit an Komplexität und Dimensionen zunimmt, ist nicht neu. Auch wenn sie eine neue Qualität in der Steigerung globaler Prozesse erreicht hat, die über die Jahrhunderte verliefen, setzt sie diese voraus.


Hierbei erweist sich für die Kulturanalyse globaler Prozesse die Aktualität einer eingehenden Beschäftigung mit der portugiesischen Expansion seit dem ausgehenden Mittelalter. Mit ihren Entdeckungsfahrten und Niederlassungen entfachten die Portugiesen Prozesse, die unter vielen Aspekten grenzüberwindend bzw. entgrenzt waren.


Sie errichteten ein weltweites Gefüge, ein Netzwerk von Beziehungen und Kommunikationswegen, in denen durch Reisende und durch Korrespondenz Informationen ausgetauscht wurden und Diffusionen von Auffassungen, Überzeugungen und Impulsen verschiedener Art erfolgten. Durch diese Vermittlung wurden auch europäische Musik und Musikinstrumente auf andere Kulturkontexte übertragen, in denen sie mit einheimischen Musiktraditionen interagierten.


Diese Vorgänge und deren Ergebnisse betrafen vorzugsweise Bewegungen des inneren Menschen, Affekte und Emotionen. Eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Musik bedeutet eine Beschäftigung mit Wandel psychischer Zustände im Verlaufe von globalen Prozessen, die stets multidimensional sind.

Studienzentrum in Brasilien